Erntegut-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Verantwortung auch des Händlers von Erntegut für die Einhaltung der Sortenschutzrechte

Dr. Klaus von Gierke, LL.M., Rechtsanwalt 
Dr. Ettje Trauernicht, LL.M. (UCT), Rechtsanwältin


Das sog. Erntegut-Urteil des X. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 28.11.2023, X ZR 70/22, GRUR 2024, 127) hat in der landwirtschaftlichen Fachpresse hohe Wellen geschlagen. Tatsächlich aber enthält es gegenüber der bisherigen Rechtslage im Hinblick auf die Verantwortung des Händlers von Erntegut für die Einhaltung der Sortenschutzrechte keine Neuerungen. Soweit einige Kommentatoren argumentieren, der Händler habe sich – um einen gegen ihn geltend gemachten Unterlassungsanspruch zu entgehen – lediglich im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren um Aufklärung über die Herkunft und die Erzeugung des von ihm gehandelten Ernteguts zu erkundigen, beruht dies auf einem Fehlverständnis der Entscheidungsgründe.

1. Ausgangspunkt

Das Sortenschutzrecht betrifft Produkte, die sich vermehren lassen. Material im Sinne der sortenschutzrechtlichen Bestimmungen existiert daher

  • in Form von Vermehrungsmaterial, d.h. in Form von Material, das zur Erzeugung neuer Pflanzen eingesetzt wird; und
  • in Form von (bloßem) Erntegut, d.h. in Form von Material, das zu Konsumzwecken eingesetzt wird.

2. Gegenstand der Erntegutentscheidung

Der BGH hat in seiner Erntegut-Entscheidung nun darüber geurteilt, inwieweit Handlungen mit (bloßem) Erntegut dem Sortenschutzinhaber vorbehalten sind. Hierzu hat der BGH Folgendes ausgeführt:

a) Grundsätzlich umfasst das Sortenschutzrecht Handlungen mit beiden Formen von Material, d.h. Handlungen mit Vermehrungsmaterial sowie Handlungen mit (bloßem) Erntegut. Umfang und Reichweite des Sortenschutzrechts sind insoweit aber unterschiedlich.

  • So hat der Sortenschutzinhaber im Falle von Handlungen mit Vermehrungsmaterial gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 1. lit. a) SortG, Art. 13 Abs. 2 GemSortV das uneingeschränkte Recht, verlangen zu können, dass er vor der Vornahme der Handlung seine Zustimmung hierzu erteilt (und diese gegebenenfalls auch verweigern kann).
  • Im Falle von Handlungen mit aus dem Vermehrungsmaterial erzeugtem (bloßem) Erntegut stehen dem Sortenschutzinhaber Rechte nur dann zu, wenn das Erntegut widerrechtlich erzeugt worden ist. Eine widerrechtliche Erzeugung liegt vor, wenn der Sortenschutzinhaber keine hinreichende Gelegenheit hatte, sein Recht auf vorherige Zustimmung im Hinblick auf das zur Erzeugung des Ernteguts genutzte Vermehrungsmaterial geltend zu machen.
  • Werden die Rechte des Sortenschutzinhabers – sei es durch die Nutzung von Vermehrungsmaterial zur widerrechtlichen Erzeugung von Erntegut, sei es durch Vermarktung derart widerrechtlich erzeugten Ernteguts – verletzt, steht ihm gegenüber jedem Verletzer u.a. ein Unterlassungsanspruch zu. Dieser Unterlassungsanspruch besteht verschuldensunabhängig. Er besteht mithin gegenüber einem Händler auch dann, wenn er von der widerrechtlichen Erzeugung des von ihm gehandelten Ernteguts keine Kenntnis hatte, und sogar dann, wenn er sich redlich bemüht hatte, sich von der Rechtmäßigkeit der Erzeugung des Ernteguts zu vergewissern, und es sich erst im Nachhinein herausstellt, dass das Erntegut entgegen der vorherigen redlichen Annahme des Händlers doch unrechtmäßig erzeugt worden ist.

b) In der Praxis bedeutet dies:

  • Wird Erntegut rechtmäßig, d.h. unter Verwendung von Zertifiziertem Saatgut oder im Wege eines legalen Nachbaus, erzeugt, stehen dem Sortenschutzinhaber im Hinblick auf dieses Erntegut keine Rechte mehr zu. Der Händler ist frei, dieses Erntegut nach Belieben zu vermarkten, ohne dass dem Sortenschutzinhaber ein Recht auf Zustimmung zur Vermarktung (oder auf Verweigerung dieser Zustimmung) zustünde.
  • Ist das von einem Händler gehandelte Erntegut hingegen von einem Landwirt unter Verwendung von Vermehrungsmaterial erzeugt worden, welches er im Wege eines sog. „Schwarzhandels“ (d.h. ohne Wissen und Zustimmung des Sortenschutzinhabers) erworben hat, unterliegt dieses Erntegut nach den geschilderten Grundsätzen dem Sortenschutzrecht des Sortenschutzinhabers. Vermarktung und Vertrieb des Ernteguts durch den Händler ist von der vorherigen Zustimmung des Sortenschutzinhabers abhängig. Vermarktet oder vertreibt der Händler das Erntegut ohne Zustimmung seitens des Sortenschutzinhabers, liegt eine Sortenschutzverletzung vor. Zwecks Verhinderung eine derartigen Sortenschutzverletzung kann der Sortenschutzinhaber von dem betreffenden Händler die Abgabe einer (strafbewehrten) Unterlassungsverpflichtungserklärung verlangen.
  • Gleiches gilt, wenn das gehandelte Erntegut vom Landwirt unter Einsatz eigenerzeugten Ernteguts erzeugt worden ist, ohne dass die einschlägigen Nachbaubestimmungen (insbesondere rechtzeitige Zahlung der Nachbauentschädigung) erfüllt worden sind.
  • Die Verpflichtung eines Händlers zur Abgabe einer Unterlassungserklärung in dem Fall, dass er nach den vorgenannten Grundsätzen ein Sortenschutzrecht verletzt hat, besteht unabhängig davon, ob der Händler von der Widerrechtlichkeit der Erzeugung des von ihm gehandelten Ernteguts wusste oder auch nur hätte wissen können. Der Unterlassungsanspruch besteht schon dann, wenn objektiv eine Verletzungshandlung vorliegt; ein Verschulden ist insoweit nicht erforderlich. Selbst wenn der Händler somit keine Kenntnis von der widerrechtlichen Erzeugung des von ihm gehandelten Ernteguts hat (und selbst wenn er sich im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren darum bemüht hat, die Rechtmäßigkeit der Provenienz des Ernteguts sicherzustellen), ist er gegenüber dem Sortenschutzinhaber zur Abgabe einer Unterlassungserklärung verpflichtet, wenn sich – und sei es im Nachhinein – herausstellt, dass das Erntegut doch widerrechtlich erzeugt worden ist.

3. Woher kommt die in der landwirtschaftlichen Fachpresse geäußerte Vermutung, ein Anspruch gegen den Händler scheide aus, wenn es sich im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren darum bemüht habe, die Rechtmäßigkeit der Erzeugung des von ihm gehandelten Ernteguts sicherzustellen?

In der landwirtschaftlichen Fachpresse wird zuweilen die Vermutung geäußert, ein Unterlassungsanspruch gegenüber einem Händler von Erntegut scheide dann aus, wenn der Händler sich im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren darum bemüht hat, die Rechtmäßigkeit der Erzeugung des von ihm gehandelten Ernteguts sicherzustellen. Diese Vermutung ist unzutreffend und findet insbesondere in der Erntegut-Entscheidung des BGH keine Stütze.

a) Die Erntegut-Entscheidung des BGH betrifft einen Fall, in dem der Sortenschutzinhaber ausschließlich einen Unterlassungsanspruch geltend gemacht hat; Schadensersatzansprüche waren ausdrücklich nicht Gegenstand des Verfahrens. Da ein Unterlassungsanspruch, wie dargestellt, verschuldensunabhängig besteht, hatte der BGH somit keine Veranlassung, sich mit der Frage auseinanderzusetzen (und er hat sich ausdrücklich nicht mit der Frage auseinandergesetzt), ob der Händler im konkreten Fall alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um auszuschließen, dass es sich bei dem von ihm gehandelten Erntegut um widerrechtlich erzeugtes Material gehandelt hat (mit anderen Worten: ob vorliegend Verschulden des Händlers gegeben war).

b) Die zuweilen zu findende Fehlinterpretation des Urteils, ein Unterlassungsanspruch des Sortenschutzinhabers scheide aus, wenn er sich „im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren … [darum bemüht hat], sich diese Informationen von Dritten zu verschaffen“, mag dadurch verursacht worden sein, dass sich dieses Zitat in der Tat an einer Stelle in der Erntegut-Entscheidung findet. Dabei geht es aber mitnichten um die Frage der Rechtmäßigkeit oder Widerrechtlichkeit der Erzeugung des gehandelten Ernteguts oder um den resultierenden Unterlassungsanspruch, sondern um die sich im konkreten Fall stellende, aus sortenschutzrechtlicher Sicht jedoch in keiner Weise relevante Frage, ob ein Beklagter (hier: der Händler) in einem Prozess konkreten Sachvortrag über einen ihm nicht positiv bekannten Sachverhalt unterlassen darf, wenn er sich nicht zuvor „im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren … [darum bemüht hat], sich diese Informationen von Dritten zu verschaffen“. Diese – rein zivilprozessuale – Thematik, mit der sich der BGH im konkreten Fall auseinanderzusetzen hatte, hat mit der dem Urteil zugrundeliegenden sortenschutzrechtlichen Thematik jedoch nichts zu tun.

4. Fazit des Erntegut-Urteils

Wer mit Erntegut handelt, muss – um einen Unterlassungsanspruch zu verhindern – erfolgreich prüfen, ob das Erntegut rechtmäßig oder rechtswidrig erzeugt wurde. Ungeachtet derartigen Bemühens ist der Händler immer dann gegenüber dem Sortenschutzinhaber zur Unterlassung verpflichtet, wenn sich herausstellt, dass das gehandelte Erntegut widerrechtlich erzeugt worden ist.

Die Autoren sind Partner der Kanzlei von Gierke Ahrens Trauernicht Rechtsanwälte in Hamburg und 
u. a. spezialisiert auf das Sortenschutz- und Saatgutrecht.


August 2024   
 

Pressemitteilung erschienen am
01.08.2024
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